Home |
Richter über Scherben
Bei Porzellan macht ihm so schnell keiner etwas
vor. Mit seinem in jahrzehntelang erworbenem profunden Wissen ist
Hans Benemann bei Versicherungen, Gerichten und der Privatkundschaft
bundesweit mehr als heiß begehrt. Er ist Experte in Sachen
Porzellan und - auch deren Scherben. Von Flensburg bis München
deckt er mit Fachwissen, ausgewiesenem Sachverstand und kriminalistischem
Spürsinn Schadenursachen, aber auch Betrügereien auf.
Hans Benemann puzzelt. Vor ihm auf der riesigen
dunklen Arbeitsplatte liegt ein weißer Scherbenhaufen. Trauriger
Rest eines teuren Porzellanservices. Konzentriert schiebt er
Bruchstücke hin und her, wühlt leise klirrend nach passenden Teilen,
setzt akribisch Blüte für Blüte, Stück für Stück des alten Meissner
Tellers zusammen, bis Signatur, Muster und Größe erkennbar sind.
Kenntnisse keramischer Zusammenhänge, ein ausgeprägt historisches
Wissen über Formen und Bemalungen, Hersteller und deren Sortimente,
kriminalistischer Spürsinn und Geduld zeichnen ihn bei seiner
Arbeit aus. Benemann ist Sachverständiger für Porzellan – der einzige
seiner Art zwischen Flensburg und München. Für Versicherungen
und Gerichte rekonstruiert er aus kleinen Scherben den genauen Schadenshergang.
Arbeit hat er genug. "Ist
die Konjunktur schlecht, nehmen Versicherungsbetrügereien zu",
weiß der von der Industrie- und Handelskammer zu
Lüneburg-Wolfsburg öffentlich
bestellte und vereidigte Fachmann. Schließlich geht es um viel Geld.
Die Sammlerstücke, die dem ehemalig gelernten Speditions- und Reedereikaufmann
unter die Brille kommen, sind im heilen Zustand meistens kleine
Kostbarkeiten. Namen wie Meissen, KPM Berlin, Herend, Wien, Sevres,
Limoges und andere bekannte Manufakturen rattert Benemann ohne Luft
zu holen herunter. Pro Fall sind dabei schon mal leicht Summen von
mehreren Tausend Euro im Spiel.
Zwar ärgert den braungebrannten,
sportlichen Mann das fehlende Unrechtsbewusstsein Vieler -
"die Hemmschwelle wird immer niedriger"
- doch von Gefühlen darf und läßt sich der Experte nicht leiten.
"Ich bin bei meiner Arbeit völlig
neutral", versichert er ernst. Denn er werde zwar z.B. von
den Versicherungs-Gesellschaften beauftragt, arbeite aber nicht
zwangsläufig für deren Vorteil, sondern bewertet neutral.
"Es reizt mich einfach, den genauen
Schadensverlauf herauszufinden", gibt der Mann seinen Hang
für kriminalistischen Spürsinn zu. Das kann durchaus auch für den
Geschädigten positiv ausgehen. Plausibilitätsprüfung nennt man das
– sehen, ob die Scherben so entstanden sein können, wie es in den
Versicherungsunterlagen oder Gerichtsakten beschrieben ist. Die
bekommt der gebürtige Lübecker gleich kartonweise zugeschickt.
Mit der Quarzlampe durchleuchtet
er die einzelnen Teile. "Damit
kann ich z.B. in die Glasur und die Farben sehen und feststellen,
ob es sich um Fälschungen oder um echte Stücke handelt, oder sehen,
welche Strukturen Risse haben", beschreibt der ehemalige
Manager bei Unilever. Mit einer Lupe wird jeder Porzellanzentimeter
genau untersucht. Muster und Signatur in der über 1000-bändigen
Fachbibliothek nachgeschlagen.
"Die Bruchkanten und der Bruchverlauf sind wichtig", sagt
Benemann und zieht mit einem Stift leicht die Linie der Risse nach.
Erfahrung und mühsame, detailgenaue Untersuchungen sagen ihm, ob
die Vase gefallen oder mit einem Hammer zerschlagen worden ist und
wann ca. sich der Schaden ereignet hat. Mehr Werkzeug benötigt er
nicht, um Indizien zusammen zu tragen.
"Sind die Bruchkanten gelb vor
Staub, kann der Schaden nicht erst vor ein paar Tagen passiert sein",
gibt er ein Beispiel. Genaue Fälle darf Herr Benemann nicht nennen, der sein Kindheitshobby zum Beruf gemacht hat,
denn er unterliegt
der Schweigepflicht.
Dem lebhaften Mann, der seine Erläuterungen
mit raumgreifenden Handbewegungen und lustigem Augenzwinkern unterstützt,
traut man den ruhigen Job fast nicht zu.
"Das lange Sitzen ist das Einzige,
was mir nicht so gut gefällt", sagt er und schmunzelt, dass
sich sein Schnurrbart kräuselt.
"Doch wenn ich erst einmal einen
Punkt gefunden habe, der nicht stimmig ist, verbeiße ich mich in
meine Arbeit, dann will ich es wissen."
Sportlichen
Ausgleich verschafft er sich mit Radfahren.
"Australien habe ich mehrfach
mit dem Fahrrad durchquert, Indien und Fernost, die Sahara mehrfach,
ebenso Neuseeland und viele Länder mehr", schwärmt er von
Landschaft, Kultur und Menschen. Oftmals reicht die Zeit
zwischen allen Terminen irgendwo in Deutschland gerade mal für
Radtouren nahe seines Wohnortes. Dennoch:
Missen möchte er seine Arbeit nicht.
"Sie ist vielfältig", erklärt
er den Reiz, holt Luft und legt los:
"Vom Ikea-Teller über feingestaltete
Porzellan-Figuren, Zierporzellane und Servicen vieler Epochen bis
hin zu zartem japanischen Teegeschirr muß ich alles kennen."
Und das ist eine Menge.
Allein in Europa gab es im Laufe
der Jahrhunderte 5500 Manufakturen, von denen jede rund 200 bis
300 Artikel im Sortiment hatte. Bei Meissen sind es sogar ca. 30.000.
Neben den verschiedenen Signaturen muss der Experte von der Geschichte
der Manufakturen, verschiedenen Porzellan-Massen, Kunstrichtungen,
Epochen, die chemische Zusammensetzung von Farben und Glasuren und
vieles mehr im Kopf haben.
Um dieses geballte Wissen zu erwerben,
brauchte er sein ganzes Leben. Seit seiner Kindheit -
"meine Eltern haben mir als ich
16 Jahre alt war das erste Stück geschenkt" - ist der Weg
des Porzellan-Liebhabers auch mit Scherben gepflastert. Seit über
25 Jahren arbeitet er bereits als Sachverständiger. Was nicht in
den Büchern zu finden ist, erfragt sich der wissbegierige Mann mit
den wachen Augen in Gesprächen mit Designern, Chemikern und Keramik-Ingenieuren
der einzelnen Herstellerfirmen. Zum Beispiel die Ergebnisse der
Druck- und Belastungstests einzelner Teller, oder die modernen Verfahrenstechniken
heutiger Masseherstellungen- und Aufbereitungen.
Im eigenen
Keller hat Benemann selbst Bruchtests vorgenommen:
"Aus welcher Höhe, mit welcher Geschwindigkeit und welchem Gewicht
fällt ein Stück zu Boden und zerbricht wie in Scherbengrößen? Das
alles kann man feststellen", sagt Benemann.
"Man braucht nur die richtige
mathematische Formel, Geduld und viel Porzellan."
Doch seine Leidenschaft gehört eigentlich nicht den Scherben,
sondern den ganzen Stücken. Er selbst sammelt nicht mehr, nur noch
seltene Liebhaberfiguren zieren dunkle Holzregale in seiner Wohnung.
"Ich begutachte auch viel für
Privatpersonen", erzählt er. Junge Familien kommen mit Omas
Erbstück, hochherrschaftliche Sammler und Kenner lassen sich bei
Käufen von ihm beraten. "Ein Ehepaar
wollte mir eine alte Vase für 700 € verkaufen. Die habe ich erst
einmal zu Sotheby's geschickt. Die Vase war frühes Meissen und rund
35.000 € wert", erinnert er sich. Am nächsten Tag standen
die jungen Leute mit einer Flasche Champagner vor der Tür.
"Das sind Momente, die man nicht
vergisst."
Zuhause liebt es der bescheiden gebliebene
Fachmann übrigens ganz einfach, gesteht er mit kleinem Seitenblick
auf die vor ihm stehenden Tassen.
"Da ärgert es mich nicht, wenn
mal ein Teil kaputt geht." Teure Scherben hat er schließlich
jeden Tag genug um sich.
Der Porzellan-Sachverständige Hans
Benemann ist unter Telefon 04105 666 870 zu erreichen.
Kieler Wochenendjournal - Jennifer Ruske
Kontaktdaten siehe auch Menüpunkte
Kontakt und
Impressum am linken Rand.
Nach oben
|